Urolithiasis / Blasenstein beim Pferd
Zusammenfassung des Artikels
„Urolithiasis beim Pferd“
von Barbara Lingmann, Andrea Baudler und Christian Lippegaus
Auch wenn Urolithiasis (Bildung von Harnsteinen) bei Pferden selten vorkommt und die Ursachen bis dato noch weitgehend unklar sind, soll anhand dieses Artikels dennoch die Komplexität der Krankheit aufgezeigt werden.
Grundsätzlich sind die Voraussetzungen für die Bildung von Harnsteinen in der Blase bei Pferden dauerhaft gegeben. Sie bilden sich aus den gleichen Kristallanteilen, die auch bei gesunden Pferden vorkommen.
Für das geringe Vorkommen werden die effektiven Unterdrückungsmechanismen im Urin verantwortlich gemacht. Konkret werden beim Pferd potentielle Kristallisationskerne durch den hohen Anteil an Mukopolysacchariden im Urin abgeschirmt.
Sollte dennoch ein Harnstein entstehen, wird dieser vermutlich durch einen Kristallisationskern verursacht, der entweder auf einer organischen Matrix (Leukozyten, Zelldetritus, Protein) oder Fremdkörpern (z.B. Nahtmaterial) basiert. Infektionen des Harnapparates, Nierenerkrankungen oder diverse Medikamente fördern den Umstand, dass eine organische Matrix als Anfangssubstanz dient. Weiters begünstigt der hohe Anteil an Calcium im Urin die Entstehung eines Harnsteines. Sein Wachstum wird durch die chemische Interaktion mit dem Urin vorangetrieben.
Symptome bei der Urolithiasis sind Störungen beim Wasserlassen, Harnblutungen, Entzündungen der Haut an den Hintergliedmaßen oder der Dammregion, Koliken und Gewichtsverlust. Auch das Innehalten in der Stellung, die beim Urinieren eingenommen wird sowie Versteifungen in der Hinterhand und ein verlangsamtes Vorschieben des Penis (Penisprotrusion) zählen zu den Symptomen.
Grundsätzlich sind Pferde verschiedenster Altersstufen betroffen, allerdings eher männliche Tiere (79%) als weibliche (21%). Im Vergleich zum Hengst ist der Wallach deutlich anfälliger.
Bei der Analyse des Urins sind vor allem Harnblutungen (44,7%), Eiter im Urin (34,2%) und übermäßiges Ausscheiden von Eiweiß im Urin (52,6%) festzustellen.
Als Therapie eines Harnsteines gilt die operative Entfernung, wobei es hier unterschiedliche Möglichkeiten gibt:
- Beim weiblichen Tier gelingt die Entfernung meist im Stehen auf natürlichem Weg über die Harnröhre. Handelt es sich um große Harnsteine, dann ist eine vorherige Lithotripsie (Zertrümmerung durch Stoßwellen) oder Durchtrennung des Blasenschließmuskels erforderlich.
- Beim männlichen Tier wird eine Laparozystotomie (Eröffnung der Harnblase), perineale Urethrotomie (Durchtrennung der Harnröhre in der Dammregion) oder pararektale Zystostomie nach Gökel (Eröffnung der Harnblase neben dem Mastdarm) gemacht. Neben der manuellen Zerkleinerung können – wie in der Humanmedizin – zur Zerkleinerung auch ein Laser oder ein Lithotriptor (Gerät zur Zertrümmerung durch Stoßwellen) eingesetzt werden.
Welche Operationsmethode gewählt wird, hängt ab von der Größe und Lage des Steines, dem Geschlecht des Patienten, der Risikoabwägung für den Patienten, den monetären Möglichkeiten des Besitzers und der zugestandenen Genesungszeit.
Bezogen auf den Harnstein an sich ist die häufigste Form der sog. Typ I-Urolith. Dabei handelt es sich um einen fragilen Stein mit grün-gelblicher, rauer Oberfläche, welche die Blasenschleimhaut verletzen kann. Er besteht überwiegend aus Calciumcarbonat.
Nach einer Operation ist vor allem die Rezidivprophylaxe, welche das erneute Auftreten einer Urolithiasis verhindern soll, von wesentlicher Bedeutung. Allerdings ist dieser Bereich in der Wissenschaft wenig abgesichert und muss individuell angepasst und entschieden werden.
Neben verschiedensten Medikationen ist vor allem die regelmäßige Kontrolle des pH-Wertes ein wesentlicher Bestandteil. Harnsteine mit Calciumcarbonat werden durch einen alkalischen pH-Wert begünstigt, daher ist es wichtig, diesen durch Gabe von Ammoniumchlorid oder -sulfat in den leicht sauren Bereich von <6 zu verschieben. Hilfreich hierbei ist auch die Verringerung von Calcium im Futter. Weiters muss die Möglichkeit der Wasseraufnahme ständig gegeben sein. Diese kann durch die Beigabe von 50-120g Salz zur gesamten Futtermenge und im Winter durch die Bereitstellung von warmem Wasser gesteigert werden.
Fallbericht der tierärztlichen Klinik Sarstedt
Ein 5-jähriger Warmblutwallach zeigte seit längerem Verspannungen in der Hinterhand. Seit zwei Monaten traten zusätzlich nach der Bewegung häufiger Harndrang, Harnblutungen und schmerzhaftes Wasserlassen auf. Nachdem ein Verdacht auf Blasenstein diagnostiziert wurde, wurde der Wallach in die Tierärztliche Klinik Sarstedt überwiesen.
Die Urinprobe wies einen geringfügig erhöhten Gehalt an Protein, Leukozyten und Blut auf. Der pH-Wert lag mit 6 unter dem Normalbereich von 7,6-9,0. Der Kristallanteil bestand aus den gewöhnlichen Calciumcarbonaten und -oxalaten. Bakterielles Wachstum konnte nicht nachgewiesen werden und in der Blutuntersuchung traten keine Abweichungen auf.
In der leeren Harnblase konnte eine bewegliche, eiförmige, feste Struktur in der Größe von ca. 6 x 4 x 2 cm ertastet werden. Neben einem Blasenstein wäre hier auch ein Tumor in der Blasenschleimhaut denkbar. Zur Differenzierung hat man eine Ultraschalluntersuchung und mittels Zystoskop eine Untersuchung der Harnblase durchgeführt. Der Ultraschallbefund bestätigte die Diagnose eines Harnsteines. Eine Endoskopie zeigte einen gelb-grünlichen Stein mit unebener und rauer Oberfläche, welcher in Folge operativ entfernt wurde. Als Operationsmethode wurde dabei die Laparozystotomie unter Allgemeinanästhesie gewählt.
Nach der Operation verblieb der Wallach für 10 Tage mit Boxenruhe in der Klinik. Die weitere Genesung bestand aus 30 Tagen Boxenruhe mit 10-minütigen Schrittreprisen an der Hand. Danach erfolgte langsames Antrainieren und mittlerweile wird der Wallach wieder im Springsport als Turnierpferd eingesetzt.
Eine Infrarot-Spektrographie ergab, dass der Harnstein zu 60% aus Calciumcarbonat, 30% Calciumoxalat und 10% Struvit bestand.
Fallbericht aus der tierärztlichen Praxis Dr. Reisinger
Ein 16-jähriger Quarter Horse Hengst wurde als Notfall aufgrund von akuter und massiver Kolik-Symptomatik vorgestellt. Die Besitzerin berichtete von massiv unruhigen Verhalten, kaltem Schweißausbruch und deutlich vermehrten durchfallartigen Kotabsatz. Vor vielen Jahren wurde das Pferd schon einmal wegen Kolik operiert und hatte seither auch immer wieder einmal Kolik-Symptomatik gezeigt.
Der Hengst hatte bei der Erstuntersuchung zwar „nur“ eine Herzfrequenz von ~ 40 Schlägen pro Minute, also scheinbar physiologisch, jedoch mit massiven Herzgeräusch und eher mittelmäßigen Durchblutungsbefunden. Die Schleimhäute waren entzündlich rot, mit Tendenz zum blau-gräulichem was einen Hinweis auf ein Stoffwechselversagen, Sepsis bzw. Giftstoffe im Körper geben kann. Rektal war links vor dem Becken eine ca. Handball große, feste und schmerzhafte Umfangsvermehrung tastbar. Die Nasenschlundsonde war unauffällig. Der Ultraschall ergab noch keine vermehrte/freie Flüssigkeit im Bauchraum und die Masse links im Bauch war auch per Ultraschall nicht identifizierbar.
Der Hengst wurde mit starken Medikamenten zur Behandlung der noch unspezifischen Kolik-Symptome versorgt.
Das Pferd versuchte schließlich auch Harn abzusetzen, der Penis wurde ausgefahren und das Pferd stellte sich in Position, jedoch kam kein Harn. Daraufhin wurde der Hengst katheterisiert, jedoch war nach ca. 20-30 cm STOP.
Verdachtsdiagnose: Verstopfung der Harnröhre durch Blasenstein
Die Umfangsvermehrung im Abdomen war noch nicht diagnostiziert.
Über mögliche Rupturen innerer Organe, aufgrund dazu passender Symptomatik (massive Kolik-Symptome und danach „Ruhe“) wurde aufgeklärt.
Die Verbringung in eine Pferdeklinik wurde vorerst aus verschiedenen Gründen abgelehnt bzw. war nicht möglich.
In den folgenden ~ 36 Stunden war das Pferd weitestgehend ruhig, begann zu fressen und schließlich auch wieder Kot abzusetzen. Aber es erfolgte seither kein Harnabsatz. Letztendlich setzte der Hengst beim Versuch Harn zu lassen nur ein paar Tropfen Blut ab.
Schließlich wurde das Pferd in eine Klinik verbracht.
Es folgte die EUTHANASIE aufgrund eines Risses der Harnblase (Harnblasenruptur). Dieser entstand durch einen Harnblasenstein, welcher die Harnröhre komplett verstopft hatte.
Die Umfangsvermehrung links im Abdomen war ein Tumor an der linken Niere.
Quellen:
- Lingmann B, Baudler A, Lippegaus C. Urolithiasis beim Pferd. Pferdeheilkunde 21 (2005) 5 (September/Oktober); 447-455
- Erfahrungsbericht Dr. Renate Reisinger
Fotos: Pferdeklinik Tillysburg
01.2022